The Captive - Spurlos verschwunden - Kritik | Film 2014 | Moviebreak.de (2024)

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Der mindestens interessante, sich oftmals aber doch ungemein anstrengend artikulierende AuteurAtom Egoyanist schon ein eigenartiger Kauz: Zwischen tiefschürfenden Arthouse-Dramen wie„Das süße Jenseits“ oder „Felicia, mein Engel“, in denen Egoyan dem Zuschauer einen aufrichtigen, einen von Menschenkenntnis gekennzeichneten Blick in das zerrüttete Seelenleben seiner Protagonisten erlaubte, und „The Captive – Spurlos verschwunden“, seinem neusten Streich, scheinen gar Lichtjahre zu liegen. Ein Phänomen, dass sich an vielen Künstlern der Branche wiedergibt: Die glorreichen Tage versacken, werden zu einer von Nebel umflorten Reminiszenz auf dem gegenwärtigen Pfad der Selbstdemontage. Exemplarisch dafür müsste man nun eigentlich Dario Argento („Suspiria“) heranziehen, nur würde das in die falsche Richtung lenken, hat Egoyan doch keinesfalls seinen Sinn für die zweckmäßige Stilistik verloren, zeigt sich aber unfähig darin, Verständnis für die zersetzende Kraft von Verlust und Trauer aufzubringen. „The Captive – Spurlos verschwunden“ ist indes nicht nur ein kalter, sondern auch ein gescheiterter Film.

Ja, es scheint so, als wäre Atom Egoyan in den letzten Jahren havariert und auf der Strecke geblieben. Schon „Devil's Knot – Im Schatten der Wahrheit“ war nicht sonderlich erquickend, aber noch so eigenwillig konzipiert, dass er immerhin für Gesprächsstoff sorgen KÖNNTE. „The Captive – Spurlos verschwunden“ hingegen ist ein verschlossenes Konstrukt; ein Film, der niemanden in seiner Nähe haben möchte und dadurch umso vehementer auf seine unweigerlichen Makel aufmerksam macht. Egoyan thematisiert in seinem – auf dem Papier als ein solcher zu deuten – Thriller die rasend schnelle Entwicklung von Internettechnologie, selbst das amerikanische Hinterland wird inzwischen von den infamen Machenschaften des World Wide Web in Mitleidenschaft gezogen. Es waren nur Minuten, wenige Wimpernschläge, die Matthew (Ryan Reynolds) an einem Diner gehalten hat, diese aber reichten aus, um einen regionalen Kinderpornoring neues virtuelles Futter auf dem Silbertablett zu servieren: Seine 9-jährige Tochter saß auf dem Rücksitz. Seit diesem Tag ist sievom Erdboden verschwunden.

Die Ehe zwischen Tina (Mireille Enos) und Matthew, von nun an mit mehreren Tonnen an Schuldgefühlen beladen, hat dieser Vorfall entzweit, genau wie beide es daraufhin verlernt haben, zu Leben. Man merkt anhand dieser knappen Synopsis bereits, dass „The Captive – Spurlos verschwunden“ einen schmalen Grat betritt, der viel Fingerspitzengefühl und Balance seitens Atom Egoyan abverlangt. Als Projektionsfläche für das grelle Spiel auf der Manipulationsklaviatur geradezu prädestiniert, hat man mit Atom Egoyan hier einen Künstler, der weniger die emotionale Manipulation sucht, sondern ein beharrliches Maß an bibbernder Distanz statuiert. Alle Figuren hier scheinen als milchige Gefäße durch die Welt zu streifen, sie zu durchschauen würde konzentriertes Interesse an ihren Schicksalen einfordern, Atom Egoyan lässt sie hingegen als bloße Repräsentanten eines Ausdrucks, einer Kategorie fungieren, nie aber zu den Gefühlen stehen, die sie gerade im Moment, im Hier und Jetzt, erschüttern. Und da kommt ein weiteres Problem ins Spiel: „The Captive – Spurlos verschwunden“ ist aufgesplittet in elendig-elliptischen Zeittableaus.

Diese dienen jedoch keinesfalls dazu, dem Geschehen mehr motivischen Hintergrund einzuräumen, sondern rücken den Zuschauer noch konkreter in die Ferne. Synonym dafür steht auch Mychael Dannas musikalische Untermalung, die sich gerne auf mechanisches Grollen bezieht, zentrifugal wird die im Raum schwebenden Marter an die äußersten Ränder des Bildschirmes gedrückt, weil Atom Egoyan nicht dazu bereit ist, diese zu zentralisieren. Entführer Mika (Kevin Durand) ist da selbstverständlich ein Produkt vom Reißbrett, der das entführte Mädchen in seinem Keller hält und durch die in verschiedenen Hotelzimmer installierte Kameras ihrer Mutter bei der Arbeit zusehen kann -eine neue Form der Pornographie. Der Pädophile nämlich ergötzt sich nicht mehr nur an Kindern, sondern auch an den Familien und ihren Versuchen einen Sinn in der Sinnlosigkeit zu finden. Mikas Kamera ist da passenderweise auch die Kamera von Egoyan, sein Drang zum Aufzeichnen und Konservieren spiegelt sich in dem mit mehlierter Haarpracht agierenden Antagonisten. Zum Porträt der erschlagenden Gefühlsballungen der Eltern aber ist Egoyan nicht in der Lage und fährt nicht nur reelle Befindlichkeit folgerichtig gegen Wand, sondern inszeniert auch einen der ineffektivsten Genre-Filme der letzten Jahre.

Fazit

Ein Genre-Film, der sich nicht dafür interessiert, dieses effektiv zu behandeln. Ein Film, der sich so zerstreut präsentiert, dass er sich jedem reellen Bezug entbehrt, einfach weil er nichts Wahrhaftiges besitzt. Die Figuren sind undurchsichtige Gefäße, sie repräsentieren nur bestimmte Kategorien, dürfen aber nie zu sich selber stehen. Egoyan liegt es nicht an Motivationen, an den irrationalen Gefühlsgefügen von tiefer Trauer, sondern daran, eine Geschichte zu konservieren, in dem er seine Kamera mit der des Pädophilen identifiziert. Ein seltsamer Film, schlicht unglaublich, wie man sich hier gegen jede reflektorische Ebene stemmt.

Kritik: Pascal Reis

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